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Arbeitsrecht: Entlassung oder Kündigung im Krankenstand – Teilnahme an nächtlicher Feier als Entlassungsgrund?
Ein aktuelles Urteil (OGH 9 ObA 67/23b) des Obersten Gerichtshofs (OGH) befasst sich mit der Frage, ob die Teilnahme eines Arbeitnehmers an einer nächtlichen Feier während eines Krankenstands eine Entlassung rechtfertigt. Ausgangspunkt war der Fall eines Arbeitnehmers, der aufgrund einer diagnostizierten Depression im Krankenstand war und dennoch eine Veranstaltung eines Motorradclubs besuchte. Der Arbeitgeber reagierte mit einer sofortigen Beendigung – der Fall landete schließlich beim OGH. Im folgenden Beitrag wird die Entscheidung des OGH leicht verständlich erläutert; zudem finden sich allgemeine rechtliche Hinweise zur Kündigung im Krankenstand und deren praktische Bedeutung für Arbeitnehmer und Arbeitgeber.
Sachverhalt
Der Kläger war seit 1999 als Vertragsbediensteter bei der beklagten Arbeitgeberin tätig. Sein Dienstverhältnis richtete sich nach der Vertragsbedienstetenordnung (VBO).
Während eines Krankenstands im August 2022 – ausgelöst durch depressive Beschwerden – nahm der Kläger an einer nächtlichen Feier seines Motorradclubs teil. Laut behandelndem Arzt bestanden keine Einschränkungen hinsichtlich Ausgehzeiten oder sozialer Aktivitäten.
Kurze Zeit später erlangte die Arbeitgeberin durch Fotos Kenntnis von der Teilnahme des Klägers an der Veranstaltung. Sie sprach daraufhin die Entlassung aus, da sie im Verhalten des Arbeitnehmers einen Verstoß gegen seine Krankenstandspflichten sah.
Der Arbeitnehmer bekämpfte die Entlassung und beantragte die Feststellung, dass sein Dienstverhältnis weiterhin aufrecht sei.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht hingegen gab dem Kläger Recht und begründete dies damit, dass nicht festgestellt worden sei, dass der Besuch der Feier den Heilungsprozess tatsächlich beeinträchtigen könne.
Rechtliche Beurteilung durch den OGH
Der Oberste Gerichtshof stellte klar, dass sich Arbeitnehmer während eines Krankenstands so zu verhalten haben, dass ihre Arbeitsfähigkeit möglichst rasch wiederhergestellt werden kann (vgl RIS-Justiz RS0060869).
Bereits die Eignung eines bestimmten Verhaltens, den Krankheitsverlauf negativ zu beeinflussen oder die Genesung zu verzögern, kann einen Entlassungsgrund darstellen (vgl RIS-Justiz RS0029337).
Allerdings muss bei der Beurteilung immer eine objektive Betrachtung des konkreten Verhaltens erfolgen – das subjektive Empfinden des Arbeitgebers reicht nicht aus. Der Arbeitgeber trägt zudem die Beweislast für das Vorliegen eines Entlassungsgrundes. Bleiben Zweifel, ob das Verhalten tatsächlich genesungswidrig war, gehen diese zu Lasten des Arbeitgebers.
Da im vorliegenden Fall nicht nachgewiesen werden konnte, dass die Teilnahme an der nächtlichen Feier den Heilungsverlauf beeinträchtigte, erklärte der OGH die Entlassung für unzulässig.
Praktische Bedeutung der Entscheidung
Diese Entscheidung zeigt deutlich, dass das Verhalten des Arbeitnehmers im Krankenstand stets im Einzelfall zu beurteilen ist. Entscheidend ist, ob das konkrete Verhalten objektiv geeignet ist, die Genesung zu verzögern oder zu gefährden.
So kann etwa bei einem körperlichen Leiden – etwa einem Rippenbruch – die Teilnahme an einem Motorrad-Rennen zweifellos einen Entlassungsgrund darstellen. Bei psychischen Erkrankungen wie Depressionen ist eine solche Beurteilung deutlich schwieriger, da bestimmte soziale Aktivitäten sogar therapeutisch sinnvoll sein können.
Arbeitgeber sollten daher vor Ausspruch einer Entlassung sorgfältig prüfen (bzw. prüfen lassen), ob ein nachweisbarer Zusammenhang zwischen dem Verhalten im Krankenstand und einer möglichen Heilungsverzögerung besteht.
Fazit zur Entscheidung des OGH
Das Urteil des OGH verdeutlicht, dass Entlassungen wegen Fehlverhaltens im Krankenstand nicht leichtfertig ausgesprochen werden dürfen. Der Arbeitgeber muss den Entlassungsgrund konkret behaupten und beweisen.
Arbeitnehmer wiederum können gegen eine ungerechtfertigte Entlassung gerichtlich vorgehen und gegebenenfalls eine Kündigungsentschädigung beanspruchen.
Bei arbeitsrechtlichen Fragen – insbesondere zu Kündigung, Entlassung und Verhalten im Krankenstand – empfiehlt es sich, frühzeitig rechtlichen Rat durch einen im Arbeitsrecht spezialisierten Rechtsanwalt einzuholen.
Exkurs: Kündigung im Krankenstand
Ein häufiges Missverständnis besteht darin, dass eine Kündigung während des Krankenstands unzulässig sei. Tatsächlich sieht das österreichische Arbeitsrecht kein Kündigungsverbot im Krankenstand vor. Eine Kündigung im Krankenstand ist daher grundsätzlich zulässig, sofern sie nicht sittenwidrig oder diskriminierend erfolgt.
Zulässigkeit der Kündigung im Krankenstand
Der Arbeitgeber kann die Kündigung auch während eines aufrechten Krankenstands aussprechen. Mit dem Zugang der Kündigungserklärung beginnt die Kündigungsfrist zu laufen; das Arbeitsverhältnis endet mit dem vereinbarten Kündigungstermin.
Zustellung der Kündigung im Krankenstand
Da sich Arbeitnehmer im Krankenstand üblicherweise zu Hause aufhalten, gilt eine schriftliche Kündigung als wirksam zugestellt, wenn sie an die zuletzt bekannte Wohnadresse übermittelt wird.
Befindet sich der Arbeitnehmer etwa wegen eines Krankenhausaufenthalts oder einer Ortsabwesenheit nicht an dieser Adresse, muss sichergestellt werden, dass das Kündigungsschreiben in den Machtbereich des Arbeitnehmers gelangt.
Wann endet ein Arbeitsverhältnis bei der gewöhnlichen Kündigung?
Im folgenden Beitrag erfahren Sie, was Arbeitnehmer und Arbeitgeber über die Kündigung im Allgemeinen sowie die damit einhergehenden Fristen und Termine wissen müssen: Hier geht’s zum Blogbeitrag.
Entgeltfortzahlung trotz Kündigung im Krankenstand
Auch bei einer Kündigung im Krankenstand bleibt der Anspruch auf Entgeltfortzahlung grundsätzlich bestehen. Das bedeutet: Obwohl das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Kündigungsfrist endet, behält der Arbeitnehmer Anspruch auf Krankenentgelt bis zur Genesung, höchstens aber bis zur Erschöpfung des gesetzlichen Entgeltfortzahlungsanspruchs (6 Wochen volles, 4 Wochen halbes Entgelt).
Tritt der Krankenstand erst nach dem Kündigungsausspruch ein, endet die Entgeltfortzahlung jedenfalls mit dem Kündigungstermin. Auch hier können kollektivvertragliche Abweichungen bestehen.
Bei Arbeitnehmerkündigung, gerechtfertigter Entlassung, vorzeitigem Austritt oder Auflösung in der Probezeit endet der Anspruch auf Entgeltfortzahlung stets mit dem Ende des Dienstverhältnisses.
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FAQ - Entlassung und Kündigung im Krankenstand
Ist eine Kündigung im Krankenstand überhaupt zulässig?
Ja. Nach österreichischem Arbeitsrecht besteht kein Kündigungsverbot im Krankenstand. Arbeitgeber dürfen auch während einer aufrechten Krankenstandsphase kündigen. Ein allgemeiner Kündigungsschutz bei Krankheit existiert nicht.
Gibt es im Krankenstand besonderen Kündigungsschutz?
Ein besonderer Kündigungsschutz besteht nur in gesetzlich geregelten Fällen (z. B. bei Schwangerschaft, Elternkarenz oder Betriebsratsmitgliedern). Eine Kündigung im Krankenstand ist daher grundsätzlich zulässig – allerdings muss sie sachlich gerechtfertigt und korrekt zugestellt werden.
Kann eine Entlassung im Krankenstand gerechtfertigt sein?
Ja, aber nur unter engen Voraussetzungen. Eine Entlassung ist zulässig, wenn der Arbeitnehmer im Krankenstand pflichtwidrig handelt – etwa durch Verhalten, das den Heilungsverlauf verzögert oder gefährdet. Der Arbeitgeber muss dies jedoch nachweisen. Im OGH-Fall 9 ObA 67/23b wurde die Entlassung als unzulässig beurteilt, weil keine Beeinträchtigung des Heilungsprozesses festgestellt werden konnte.
Was versteht man unter „genesungswidrigem Verhalten“ im Krankenstand?
Genesungswidriges Verhalten liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer Handlungen setzt, die objektiv geeignet sind, den Heilungsverlauf zu behindern oder zu verzögern – etwa bei körperlicher Krankheit die Teilnahme an sportlichen Aktivitäten oder schweren Arbeiten. Bei psychischen Erkrankungen ist die Beurteilung oft schwieriger und erfordert eine Einzelfallbetrachtung.
Wie muss eine Kündigung im Krankenstand zugestellt werden?
Ist der Arbeitnehmer ortsabwesend (z. B. Krankenhausaufenthalt), muss sichergestellt werden, dass das Schreiben in seinen Machtbereich gelangt. Eine persönliche Übergabe oder Zustellung durch einen Boten ist rechtlich am sichersten.
Was passiert, wenn der Arbeitnehmer die Kündigung im Krankenstand nicht sofort erhält?
Erhält der Arbeitnehmer das Kündigungsschreiben verspätet – etwa, weil er bettlägerig ist –, tritt die Kündigungswirkung erst mit tatsächlichem Zugang ein. Daher empfiehlt sich für Arbeitgeber eine nachweisbare Zustellung (z. B. Bote oder Einschreiben).
Habe ich Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Kündigung im Krankenstand?
Ja. Auch wenn das Arbeitsverhältnis während des Krankenstands endet, besteht ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung bis zur Genesung – maximal jedoch bis zur Ausschöpfung des gesetzlichen Anspruchs (6 Wochen volles und 4 Wochen halbes Entgelt).
Welche Unterschiede bestehen zwischen Kündigung und Entlassung im Krankenstand?
Die Kündigung im Krankenstand ist eine ordentliche Beendigung des Dienstverhältnisses unter Einhaltung der Fristen.
Eine Entlassung im Krankenstand hingegen ist eine sofortige Auflösung aus wichtigem Grund, etwa wegen groben Fehlverhaltens oder genesungswidrigen Verhaltens. Der Arbeitgeber muss diesen Entlassungsgrund nachweisen können.
Kann ich mich gegen eine Entlassung oder Kündigung im Krankenstand wehren?
Ja. Arbeitnehmer können eine Kündigung oder Entlassung gerichtlich anfechten, wenn sie ungerechtfertigt oder rechtswidrig ist.
Im Fall einer unzulässigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses besteht bspw Anspruch auf Kündigungsentschädigung.
Welche Rolle spielt die OGH-Entscheidung 9 ObA 67/23b für die Praxis?
Der OGH betonte, dass eine Entlassung im Krankenstand nur dann gerechtfertigt ist, wenn das Verhalten des Arbeitnehmers objektiv den Heilungsverlauf beeinträchtigen kann. Das bloße Missfallen des Arbeitgebers reicht nicht aus. Arbeitgeber müssen den Entlassungsgrund beweisen, sonst ist die Entlassung rechtsunwirksam.
Was sollten Arbeitgeber bei einer Kündigung im Krankenstand beachten?
Arbeitgeber sollten jede Kündigung im Krankenstand oder Entlassung während der Arbeitsunfähigkeit sorgfältig prüfen und dokumentieren. Empfehlenswert ist, vor Ausspruch der Beendigung arbeitsrechtlichen Rat einzuholen, um unnötige Prozesse und Schadenersatzforderungen zu vermeiden.
Wie sollten Arbeitnehmer bei einer Kündigung im Krankenstand reagieren?
Betroffene Arbeitnehmer sollten den Zugang der Kündigung dokumentieren, keine voreiligen Schritte setzen und unverzüglich anwaltliche Beratung in Anspruch nehmen. Ein spezialisierter Rechtsanwalt kann beurteilen, ob die Kündigung oder Entlassung rechtlich anfechtbar ist und welche Ansprüche bestehen.