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Das Erbrecht birgt komplexe Regelungen und Pflichten, die sowohl Erblasser als auch Erben betreffen, insbesondere wenn es um das Thema Pflichtteil und dessen Ergänzung geht.
Der Pflichtteil stellt einen wesentlichen Aspekt des österreichischen Erbrechts dar, der dafür sorgt, dass nahestehende Angehörige des Verstorbenen, trotz möglicher letztwilliger Verfügungen, nicht vollständig von der Erbschaft ausgeschlossen werden können. Besonders interessant wird es bei Schenkungen zu Lebzeiten des Erblassers an Personen, die grundsätzlich pflichtteilsberechtigt sind.
Die Unterscheidung zwischen abstrakt und konkret pflichtteilsberechtigten Personen spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Dieser Beitrag beleuchtet die Rechtslage rund um den Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Schenkungen an abstrakt pflichtteilsberechtigte Personen.
Das Wichtigste in Kürze
- Testierfreiheit mit Einschränkungen: Der Erblasser hat die Freiheit, sein Vermögen nach eigenem Ermessen zu verteilen, muss jedoch Pflichtteilsberechtigte angemessen berücksichtigen.
- Unterscheidung zwischen abstrakt und konkret Pflichtteilsberechtigten: Abstrakt Berechtigte sind zunächst die Nachkommen sowie der Ehepartner, eingetragener Partner; konkret berechtigt sind all jene abstrakt pflichtteilsberechtigten, wenn sind bei gesetzlicher Erbfolge erbberechtigt sind und nicht enterbt wurden oder auf ihren Pflichtteil verzichtet haben.
- Bedeutung von Schenkungen für den Pflichtteil: Schenkungen des Verstorbenen werden dem Vermögen hinzugerechnet und bilden somit eine erhöhte Bemessungsgrundlage. Pflichtteilsberechtigte müssen erhaltene Schenkungen anrechnen lassen.
- Umgang mit Schenkungen an (abstrakt) Pflichtteilsberechtigte: Schenkungen an Pflichtteilsberechtigte werden unbefristet dem Nachlass hinzugerechnet, wenn diese zum Zeitpunkt der Schenkung und des Todes abstrakt pflichtteilsberechtigt waren. Andere Pflichtteilsberechtigte können also einen Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend machen.
Allgemeines zum Pflichtteilsrecht
Die grundsätzlich bestehende Testierfreiheit des Erblassers erfährt durch das Pflichtteilsrecht einige Einschränkungen. So kann der Erblasser zwar selbst entscheiden, welchem seiner Hinterbliebenen er was hinterlässt, er kommt jedoch nicht umhin, manche Personen in gewissem Ausmaß zu berücksichtigen. So bestimmt das Gesetz, dass die sogenannten Pflichtteilsberechtigten aufgrund ihrer besonderen Beziehung zum Erblasser an dessen Vermögen teilhaben sollen.
Im Rahmen der Pflichtteilsberechtigung muss zwischen den abstrakt und konkret pflichtteilsberechtigten Personen differenziert werden. Abstrakt pflichtteilsberechtigt sind der Ehegatte, der eingetragene Partner sowie die Nachkommen des Verstorbenen, wobei davon jene konkret pflichtteilsberechtigt sind, die bei gesetzlicher Erbfolge erbberechtigt wären und nicht auf den Erbteil verzichtet haben, enterbt wurden oder erbunwürdig sind.
So ist beispielsweise ein Enkelsohn sehr wohl abstrakt, jedoch nicht konkret pflichtteilsberechtigt, wenn dessen Mutter oder Vater als direkter Nachkomme des Erblassers zur Erbschaft gelangt.
Pflichtteil und Schenkungen
Das österreichische Erbrecht bestimmt, dass Schenkungen, die der Verstorbene zu Lebzeiten vorgenommen hat, entscheidend für die Berechnung des Pflichtteils sein können.
Diese Schenkungen werden dem Vermögen des Verstorbenen hinzugerechnet und bilden somit eine erhöhte Bemessungsgrundlage für die Ermittlung des Pflichtteilsanspruchs.
Pflichtteilsberechtigte, also in der Regel Kinder und Ehepartner des Verstorbenen, müssen sich zudem alle Schenkungen, die sie selbst erhalten haben, auf ihren Pflichtteil anrechnen lassen.
Diese Regelung dient dazu, dass Schenkungen nicht dazu genutzt werden können, Pflichtteilsansprüche zu umgehen oder zu mindern. Es wird zwischen Schenkungen an Pflichtteilsberechtigte, wie Nachkommen und Ehegatten, und Schenkungen an andere, wie Lebensgefährten, unterschieden.
Während Zuwendungen an Pflichtteilsberechtigte ohne zeitliche Begrenzung in die Nachlassberechnung einfließen, werden Schenkungen an Dritte nur dann berücksichtigt, wenn diese innerhalb der letzten zwei Jahre vor dem Ableben des Erblassers erfolgt sind.
Schenkungen an abstrakt Pflichtteilsberechtigte
Im Zusammenhang mit den vorgehenden Erläuterungen, stellt sich die Frage, wie eine Schenkung pflichtteilsrechtlich zu behandeln ist, wenn der Beschenkte zum Zeitpunkt der Schenkung zwar abstrakt, aber nicht konkret pflichtteilsberechtigt ist und ob ein etwaiger Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend gemacht werden kann. Mit dieser Frage beschäftige sich der OGH in seiner Entscheidung vom 28.01.2021 (GZ 2 Ob 166/20f).
Im konkreten Fall ging es um die Frage, ob eine zu Lebzeiten des Erblassers an dessen abstrakt pflichtteilsberechtigen Enkel (und Neffen der Klägerin) gemachte Schenkung bei der Berechnung des Pflichtteils der klagenden Tochter des Erblassers berücksichtigt werden muss. Der Beklagte argumentierte gegen die Hinzurechnung der Schenkung, da er zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht konkret pflichtteilsberechtigt war und die Zweijahresfrist seit der Schenkung bereits abgelaufen sei. Der Oberste Gerichtshof bestätigte jedoch, dass die Schenkung unabhängig von der Zweijahresfrist dem Nachlass hinzuzurechnen ist, wenn der Empfänger sowohl zum Zeitpunkt der Schenkung als auch des Todes des Erblassers abstrakt pflichtteilsberechtigt war.
Fazit zum Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Schenkung an abstrakt Pflichtteilsberechtigte
Pflichtteilsberechtigte können einen Pflichtteilsergänzungsanspruch unbefristet geltend machen, auch wenn der Beschenkte nicht konkret, aber zumindest abstrakt pflichtteilsberechtigt war.
Diese Voraussetzung muss jedoch zum Zeitpunkt der Schenkung und des Ablebens des Erblassers gegeben sein.
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